Fastnacht in Westkirchen
Zu den Zeiten, als noch alle modernen Verkehrsmittel fehlten und die Dörfer durchweg auch nicht mit einer Eisenbahn gesegnet waren, spielte sich ihr Leben sehr einfach ab. Man wusste ja kaum, was in der nächsten Nachbarschaft vor sich ging, geschweige denn in der großen Welt da draußen. In Westkirchen z.B. war es noch um 1900 ein Ereignis, wenn einer mit dem Fahrrad ((Villozipaid[1]) durch das Dorf kam und die Dorfjugend konnte sich über ein solches Erlebnis tagelang nicht beruhigen. – Bei solcher Abgeschiedenheit nahm man aber um so stärker an allem teil, was innerhalb der Gemeinde vor sich ging, und die Feste des Dorfes waren wirklich Gemeinde- d. h. Gemeinschaftsfeste. Und wer aus irgendeinem Grunde an einem Gemeindefest sich nicht beteiligen konnte, nahm innerlich teil daran.
Nach der Jahrhundertwende fing der Liberalismus auch auf dem Lande an, seine zersetzende Wirkung auszuüben, und ganz allmählich ging dabei die viele Jahrhunderte alte Dorfgemeinschaft in die Brüche. Damit starb auch das alte Brauchtum ab, weil es bei der inneren Wandlung der Menschen seinen Sinn verloren hatte.
Auf den Tennen („Diälen“) wurde am Fastnachtssonntag zur Ziehharmonika getanzt. In den Wirtschaften des Dorfes wurde bis in die Nacht hinein gesungen. Auch in der Nachbarschaft fand man sich zu fröhlichem Beisammensein, und das war ohne ein frohes Lied nicht denkbar. Ein besonderes Gebäck, die Fastnachtswecken, war vielfach üblich.
In Westkirchen war der Fastnachtsmontag vor allem der Tag der jüngeren Männerwelt. Freilich rechneten sich dazu auch Vierzig- und Fünfzigjährige. Sie verkleideten sich und hießen die Fastnachtsgecken. Von Haus zu Haus durch die Gemeinde ziehend, sammelten sie Eier und Würste. Sie legten Wert darauf, unerkannt zu bleiben, wie anderseits die Bauern, die von ihnen besucht wurden, darauf bedacht waren, zu erfahren, wen sie vor sich hatten. Die Gecken sangen das bekannte Fastnachtslied. Dem Geizigen spielten sie am Abend oder in der Nacht allerlei Schabernack.
Der Dienstag war dazu bestimmt, die gesammelten Vorräte unter Teilnahme von „Gönnern“ teils zu verzehren, teils sie gegen anregende Getränke umzutauschen. Unter Anteilnahme des ganzen Dorfes zogen dann die Gecken durch die Straßen. Jeder noch einigermaßen Marschfähige unter ihnen bemühte sich, zur allgemeinen Belustigung sein Teil beizutragen. Hier zog eine Bärengruppe. Einige der Männer, in Schaffelle gehüllt, wurden an schweren Ketten geführt. Die Führer aber handhabten ihre mit Kalbsfell überzogenen Kornsiebe als Tamburine und sangen ihre Zigeunerweisen, während die Bären tanzten und die als Zigeunerweiber Verkleideten Geld einsammelten und sich als Wahrsagerinnen (Wickewiewer) betätigten. Dort nahte eine Drehorgelgruppe. Von einem Wagen hatte man die Flechten und Rinksen entfernt. Vier bis sechs Männer waren als Pferde vorgespannt. Der Kutscher war wunderbar ausstaffiert. Dann stand auf dem Wagen die Riesendrehorgel, eine große verdeckte Holzkiste, in der einer mit der Ziehharmonika saß. Hinter der Kiste aber stand der Drehorgelmann, der eine Kurbel drehte und so Musik machte. Auch Sänger gehörten dazu, die zu den „Drehorgelweisen“ die Lieder sangen, vielfach selbsterdachte plattdeutsche Texte, die in ulkiger Art von irgendwelchen Vorgängen in der Gemeinde berichteten. Auch ein Brautwagen, wie er damals üblich war, gehörte wohl dazu.
Der Aschermittwochmorgen („Askedag“) war ohne Hering nicht denkbar, und alle Wirtschaften hatten sich darauf eingerichtet. Auch an diesem Morgen geschah noch mancher Schabernack und Fastnachtsscherz. So hatte einmal Natz Str. am Aschermittwochmorgen schon einige hinter der Binde, als er die Wirtschaft R. in Westkirchen betrat. Dort traf er einen jungen Bauern, der noch etliche „Körner“ spendierte. Dann sagte der Bauer: „Dou, Natz, dou könns mi wull ´n Gefallen dohen. Dou kanns so fermaust riehen (reiten). Rieh iäm vö mi met usse Miär noa´n Hengst, se staiht hier all in´n Stall, ick wull jüst losriehen; noa Buer Wiem in Iännigerlauh, wäiste. Wenn dou wierkümst, kanns di van den Wärt up miene Riäknunk nao en halw Liter metniehmen. Un dat Dier stell män hier wier in´n Stall. Ick mot doch vönaomdag nao´n Duorpe, dann niehm ick´t wier met nao Hus.“ Natz war Feuer und Flamme, saß auch noch einigermaßen fest im Sattel und ritt los. Auf Wiemanns Hofe band er sein Tier fest und ging mit schwankenden Schritten ins Haus. Als er dann aber „de Miär“ losband und sie dem Hengst zuführen wollte, bemerkte er trotz seiner etwas unsicheren Augen plötzlich, daß er keine Stute, sondern einen Wallach (Roune) geritten hatten. Gerade noch im letzten Augenblick gelang es ihm, sich auf den Zossen zu schwingen und sich vor einer Tracht Prügel zu retten. In Westkirchen aber stand bei seiner Heimkehr das halbe Dorf angetreten, um den Aschermittwochsreiter mit dem ihm gebührenden Gelächter zu empfangen. Der lachte kräftig mit, das klügste, was er tun konnte.
Fastaomd un Askedag draff´m nicks üöwelniehmen, hieß es. J. Schlotmann
Fastaomd un Askedag draff´m nicks üöwelniehmen, hieß es. J. Schlotmann
[1] gemeint: Veloziped (Anmerkung bei der Übertragung)
Quelle: Nachlass J.Schlotmann
Veröffentlicht: Die Glocke am 19.02.1939
Mit freundlicher Genehmigung der Familie Schlotmann und der Glocke