Alte Westkirchener Kindtauf- und Hochzeitssitten - Dorfarchiv-Westkirchen e.V.

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Alte Westkirchener Kindtauf- und Hochzeitssitten
 
 (Nach einem Bericht (vermutlich aus dem Jahre um 1939) von Joseph Schlotmann (+)

 
Das Gefühl der Schicksalsverbundenheit und der Gemeinschaft, daß die Menschen in Familie, Nachbarschaften, Bauerschaftt und Gemeinde früher viel stärker als jetzt beherrschte, der tiefe religiöse Sinn, daneben allerdings auch ein starker Hang zum Aberglauben, haben in früheren Zeiten Gewohnheiten ausgebildet, die sich allmählich zu festen Sitten und Gewohnheiten verdichteten und mit großer Treue von Geschlecht zu Geschlecht überliefert wurden. Sie waren das Band, das die lebende Generation umschlang und gleichzeitig mit den Vorfahren vergangener Jahrhunderte verknüpfte. Als Vermächtnis der Vorgewesenen wurden sie heilig gehalten und kritiklos als ein Stück Heimat überliefert. Auf diese übten sie eine gewaltige erzieherische Macht aus. Sitte und Brauch umwoben neben den kirchlichen Festen vor allem die Angelpunkte des Lebens, Geburt, Kindtaufe, Hochzeit, Tod und Begräbnis. Die Sitten und Bräuche, die sie umwoben, waren von Land zu Land zum Teil sogar von Ort zu Ort verschieden und hingen nicht nur mit den überlieferten Ansichten, sondern auch mit dem Volkscharakter zusammen.
 
In hiesiger Gemeinde gab es in den Bauerschaften eine Hebammentür. Man wachte sorgfältig darüber, daß die Hebamme durch diese Tür zuerst das Haus betrat und durch diese Tür auch mit dem Säugling zur Taufe ging. Anderenfalls, meinte man, werde es nicht gut enden mit dem jungen Erdenbürger. Man mag vielleicht darüber lächeln, tatsächlich liegt ein tiefer Sinn in diesem Brauch. Er will dem Wunsche Ausdruck geben, daß der Neugeborene nicht auf falsche Wege geraten, sondern in den bewährten Bahnen seiner Väter wandeln möge vom ersten Tage seines Lebens an. Die Geburt wurde alsbald den Nachbarn angesagt.
 
Zur Kindtaufe fuhr man mit dem sogenannten „Jagdwagen“. Er war leicht gebaut, man konnte damit trotz der schlechten Wege schnell fahren (jagen), daher der Name. Er war sinnreich grün gestrichen. Die Fichten waren nur in der unteren Hälfte geschlossen; die obere Hälfte zeigte in regelmäßigen Abständen schräg nach hinten gestellte Leisten, die oben in einem schön geschweißten Holm eingeschlossen waren. Es war der Staatswagen des Landwirtes, der heute freilich Kutschen der verschiedensten Art hat weichen müssen. Zur Taufe begaben sich sämtliche Nachbarfrauen mit zur Kirche und brachten den Wöchnerin nach erfolgter Stärkung im Wirtshause des Dorfes (jeder Bauer hatte sein Wirtshaus, wo er einkehrte, wo er ausspannte und mit dem ihn das Gefühl der Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit verband; der Wirt betrachtete ihn nicht so sehr als den Kunden, der ihn Geld ins Haus brachte, sondern als einen vertrauten, gern gesehenen Freund) ein Pfund Kaffee, ein Pfund Zucker und ein Pfund Zwieback mit. Die Teilnahme der Nachbarinnen an der Kindtaufe und das Geschenk an die Wöchnerin sollten bekunden, daß sie an dem Wohlergehen der Familie lebhaften Anteil nahmen. Häufig fanden am Tauftage die sogn. „Kinnerkiärsen“ statt, eine Feier, zu der die Nachbarn, zuweilen auch die nächsten Verwandten, oft auch der Geistliche und der Küster, geladen und mit Mittagessen und Kaffee bewirtet wurden.
 
Lange war es Brauch, den Säugling zuerst in fließendem Wasser zu baden. Sicher ist dieser Brauch germanischen Ursprungs; die Germanen badeten ihre Kinder im Flusse. Die Kirche hat dieser Geflogenheit eine christliche Deutung gegeben. Fließendes Wasser ist das Sinnbild der Reinheit, und so wies dieses Bad hin auf die Reinigung der Seele durch die heilige Taufe. Im übrigen hat man früher vom Baden der kleinen Kinder wenig gehalten. Im ersten Lebensjahre durften dem Kinde auch die Nägel und Haare nicht geschnitten werden; sonst wurde es später ein Spitzbube; Ängstlich überwachte man das Kommen und Durchbrechen der Zähne. Mit dem Zahnen wurden so ungefähr alle Krankheiten des Kleinkindes in Verbindung gebracht, und es gibt auch heute noch viele unwissende Mütter, die dieser Ansicht huldigen. Es gab Zahnpocken, Zahnfieber, Zahnkrämmpfe, Zahnen durch die Brust, und wer weiß, was sonst noch.
 
 
Der grüne Jagdwagen war nicht nur Taufwagen, sondern auch Brautwagen. Es geschah unter jubelnder Teilnahme der ganzen Gemeinde, wenn einige Tage vor der Hochzeit der Brautwagen die Aussteuer ins künftige Heim brachte. Kunstgerecht war alles verpackt und verstaut, und doch oben über dem Ganzen prangten, wenn es sich um die Mitgift der Braut handelte, ein gewaltiger Birkenreiserbesen und eine „Deiße“ Flachs von beträchtlichem Umfang, die Sinnbilder der Reinlichkeit und des Fleißes.
 
Wenn es sich um den des „Brüms“ handelte, sah man nur den Besenoben prangen, und wenn der Bräutigam ihm einen besonders großen Umfang gab, so hatte er vielleicht dabei um die große Auskehr gedacht, die er demnächst auf dem Hofe halten wollte. Stolz saßen Bräutigam und Braut vorn auf dem festlich geschmückten Wagen. Mit vier Pferden bespannt, zuweilen auch mit sechs, fuhr der Wagen seinen Weg unter juchhei seiner Begleitung. Überall von den Höfen wurde Jubel erwidert. Schüsse krachten darein. Die Jugend vergaß nicht einen Stick über den Weg zu spannen. Der Bräutigam griff in die Taschen und warf eine Handvoll Scheidemünzen als Lösegeld unter die kleine, jubelnde Bande, die sich noch lange um die Pfennige balgte.
 
 
 
Am Sonntag vor der Hochzeit wurde bei einem der Nachbarn gekränzt und abends zu Ehren des jungen Paares ein Tänzchen gemacht. Der glückliche Bräutigam schickte einen „Seuten“ herüber.
 
Am Tage vor der Hochzeit war der „Juffernohmd“ (Jungfernabend). Alle zur Hochzeit Geladenen schickten am Nachmittage die Großmagd und den „Surjungen“ oder Kleinknecht zum Hochzeitshause. Sie brachten eine Welle Butter, eine Wegge und zwei Hühner (meinstens 1 Hahn und 1 Huhn) mit. Die Wegge war ein sehr großer, runder, platter „Stuten“ aus allerfeinsten Mehl. Wer die Bedeutung dieser Sitte recht verstehen will, der muß sich in die Zeit vor hundert oder mehr Jahren zurückdenken, wo die Leute in den ärmlichsten Verhältnissen lebten, bares Geld kaum besaßen, und es sich nur durch gegenseitige Unterstützung ermöglichten, recht vergnügt und sorglos Hochzeit zu feiern. Am Juffernobend gab´s für die Überbringer der Geschenke Kaffee. Abendessen und Tanzbelustigung. Gepoltert wurde nur in bescheidenem Maße. Das während der Nacht auf dem Dache oder im Baum sich ein prächtig ausgestopfter Storch niederließ, ist selbstverständlich.
 
Die Einladung zur Hochzeit erfolgte schon Wochen vorher durch einen „Gästbitter“. Da er alle Wege, die ihn oft in weit entfernte Gemeinden führten zu Fuß machte, war er meist wochenlang unterwegs. Seine Einladung brachte er in einer langen Reihe wohlgesetzter plattdeutscher Verse und Reime vor. Der Gästbitter Schlotmann, jetzt lange tot, der Vater des hier lebenden Christop Schlotmann, in der weiteren Umgebung unter dem Namen „Jösken Slautens“ oder „Jösken Fröhlings“ durch seinen goldenen Humor bekannt, hatte die Geflogenheit, bei jeder Einladung noch eine Anzahl selbsterdachter, auf den besonderen Fall zugeschnittener Verse dazuzumachen.
 
Ein Verspakt hieß immer: „Wänn si willt scheunen Broen iaten, drüen si Messer un Gobel nich vögiäten“.
 
Die Fahrt zur Trauung geschah wieder im Jagdwagen. Des Mittags fanden sich die Gäste rechtzeitig auf der großen, mit Grün prächtig ausgeschlagenen Tenne ein, wo man aus Wagenflechten und „Postbriät“ die erforderlichen Tische und Bänke hergestellt hatte, und jeder Gast zog in Papier eingewickelt, Messer und Gabel und Löffel heraus, um nun gesunden Appetit aufs nachdrücklichste zu beweisen. Nach jeder Mahlzeit wickelte jeder seine Wehr und Waffen wieder ein.
 
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Der weitere Text des Berichtes, in dem auch von den Begräbnissitten erzählt wird ist leider verloren gegangen.

Quelle: Nachlass J.Schlotmann
Hinweis: Ein Teil der Berichte von J.Schlotmann wurden vor langer Zeit auch in der Glocke veröffentlicht.

Mit freundlicher Genehmigung der Familie Schlotmann und der Glocke



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